Im Nachhinein betrachtet mag es vielleicht der Anfang einer guten Geschichte sein, doch damals, als ich vor fünf Jahren begann, den äußersten Südwesten Kärntens liebesbedingt zu entdecken, stand die Sonne jeden Abend kerzengerade im Westen und lächelte mir Richtung Mittelkärnten entgegen. Was bei der gut einstündigen Anfahrt aus dem Klagenfurter Exil manchmal etwas anstrengend werden konnte, lässt sich im Nachhinein betrachtet jedoch als gutes Zeichen von oben deuten, denn: die Liebe ist in jeder Hinsicht größer geworden und im Hinblick auf die Landschaft und ihre Bewohner erst so richtig entstanden.

Die Gail, oder auch die „Überschäumende“, wie sie in der slowenischen Übersetzung heißt, formte mithilfe von zahlreichen Gletschern und deren Zungen und Moränen einen breiten und meist ebenen Talboden aus, wodurch Platzangst oder Lichtmangel hier eher periphere Themen sind. Besonders zu schätzen gelernt habe ich den oberen Talbereich, damit meine ich die Landschaft von Hermagor in Richtung Westen. Für mich war es damals seltsam, dass die Sprache, je weiter man talaufwärts kam, immer mehr an das (Ost)-Tirolerische erinnerte, das ich aus früheren Lienz-Ausflügen kannte. Mittlerweile konnte ich die talinterne „Sprachgrenze“ irgendwo bei Tröpolach, auf Höhe des Nassfeldes, Kärntens größtem Schigebiet ausmachen und habe mir selbst ganz freiwillig Wörter wie „Gitsche“ einverleibt.

Hermagor selbst ist eine Großgemeinde, die für mich durch Abwechslung, sowohl landschaftlich als auch geschichtlich gekennzeichnet ist. Einerseits findet man auf der „windischen“ Seite östlich der Bezirkshauptstadt den badewannenähnlichen Pressegger See mit seinem Schilfgürtel, welcher das ursprünglich viel größere Ausmaß des Gewässers nur erahnen lässt. Ebenso findet man auf den Almen den großen baulichen Unterschied zwischen dem Unter- und dem Oberland. So baute im ursprünglich slawisch dominierten Gebiet östlich von Hermagor bis zur malerischen Egger Alm jeder Bauer seine eigene Immobilie am Almboden. Weiter westlich hingegen, im oberen Teil des Tales, vereinte man all seine Kräfte und finanziellen Mittel und baute eine Alm für die gesamte „Nachbarschaft“ eines Dorfes, die heute zum Großteil noch in der selben Form bewirtschaftet wird. Ein weiterer Kontrast zum eher warmen Nass des Pressegger Sees ist die „Dreifaltigkeit“ der schroffen Gipfel des Nassfeldes, welche mit Gartnerkofel, Rosskofel und Trogkofel den westlichen Abschluss der Gemeindegrenzen begründet.

Die Almen des Gailtales vereinten sich im Laufe des ausgehenden 20. Jahrhunderts hinsichtlich der Vermarktung und so gibt es seit 1996 den „Verein der Gemeinschaft der Gailtaler Almsennereien“. Mittlerweile produzieren 13 Almen entlang von der besagten Egger Alm über die Straniger Alm bis hin zur Großfrondell-Alm im Westen des Gebietes den feinwürzigen Gailtaler Almkäse. Eines der Dinge, die ich persönlich so schätze ist die Lieblichkeit und Ursprünglichkeit der sanften Almwiesen, die oft im starken Kontrast zu den schroffen Gipfeln der Karnischen und Gailtaler Alpen steht. Ein weiterer Faktor, der das Gailtal von landschaftlich ebenso wunderschönen Gegenden in den Alpen unterscheidet, ist jener des sanften Tourismus. Die Berge, die für mich gewissermaßen die Initialzündung meiner mittlerweile mit Begeisterung betriebenen alpinen Leidenschaft bedeuten, sind nicht übermäßig durch Lifte, Seilbahnen oder breite Asphaltstraßen erschlossen. So bleiben sie auch eine Herausforderung und bieten vor allem eines: Erholung und das vielbesungene „Eins mit der Natur werden“. Dies erscheint auch logisch, wenn statt 50 Personen plötzlich zwei Gipfelstürmer an der Spitze die Aussicht genießen. Viele wunderbare Touren sind auch nicht allzu einfach zu begehen, man denke nur an das Dach der Karnischen Alpen, die Hohe Warte (oder Monte Cogliàns im Friulanischen), die sich im Plöckengebiet, einem der landschaftlich reizvollsten Gebiete überhaupt, mit 2.780 Metern gen Himmel streckt. Die Berge rund um den Plöckenpass bieten interessante Touren, für anspruchsvolle Bergsteiger (Tipp: Klettersteig Senza Confini), Genusswanderer oder auch Geschichtsinteressierte. Hier verlief im Rahmen des Ersten Weltkrieges die Front zwischen Italien und Österreich-Ungarn, welche unzählige sinnlose Todesopfer forderte. Heutzutage hat sich das Blatt gewendet und so bietet der Karnische Hauptkamm einen weiteren großen Vorteil, nämlich jenen des grenzübergreifenden Wanderns. Auch friulanische Schutzhütten und Almen laden zur Einkehr ein und so kommt es an den Wochenenden oft zum regen Austausch: Während unsere südlichen Nachbarn auf den hiesigen Almen ihren Bierdurst stillen, lassen wir im Süden den „Vino della Casa“ fließen.

Mit Ausnahme des Nassfeldes ist das Gailtal, vor allem im Westen, wo der Talboden breiter, die Almen häufiger und die Menschen meines Erachtens nach ausgeglichener, lockerer und freundlicher werden, von ausuferndem „Hotelkrebs“ und intensiver Verbauung der Landschaft verschont geblieben.

So dürfen sich mittlerweile entlang des Karnischen Hauptkammes drei Landstriche mit der Mitgliedschaft an der „Bergsteigerdörfer“ des Österreichischen Alpenvereines schmücken (Mauthen, das Lesachtal und das Tiroler Gailtal), die Faktoren wie Leben im Einklang mit der Natur, regionale Entwicklung und Naturbelassenheit voraussetzen.

Eine weitere neue Initiative, die ganz offensichtlich gut in unseren Zeitgeist passt, geht von Edelgreißler Herwig Ertl und seiner „Bühne des Genusses“ in Kötschach, der „heimlichen Hauptstadt“ des Gailtales aus. „Slow Food Travel Alpe Adria“ nennt sich die Initiative, die Menschen ursprüngliche Lebensmittel und Zubereitungsarten näherbringen soll. Sie umfasst bäuerliche Produkte und deren Veredelung von Maria Luggau bis Hermagor und setzt die Erzeuger eines der südlichsten Zipfels Österreichs in Szene. Damit meint man beispielsweise Alois Planner und Klaus Feistritzer, die von Mauthen aus die nationale und internationale Craft Beer-Szene erobern und wunderbar ausgewogene Biere in unglaublich kreativer Vielfalt brauen. Vom Fass lässt sich das Loncium Bier, das namentlich eine Hommage an den lateinischen Namen des Ortes Mauthen bildet, unter anderem beim Gasthof Grünwald in St. Daniel genießen. Diese traditionsreiche Gaststätte ist weithin vor allem für die virtuose und leidenschaftliche Zubereitung der kärntnerischtsten aller Kärntner Spezialitäten bekannt: der Kärnter Käsnudel. Wer diese, „handgekrendelt“ und in verschiedenen Variationen verkosten möchte, ist mit dem „Gemischten Nudelteller“ bei Ingeborg und Gudrun Daberer gut beraten. Doch damit sind nur drei der vielen Protagonisten dieses Konzepts genannt, die eine Rückbesinnung auf die hohe Qualität der heimischen Lebensmittel in den Vordergrund stellen – ein Weg, der mir, um es nicht mit dem schon überstrapazierten Wort „nachhaltig“ zu bezeichnen, als absolut richtig und zukunftsweisend erscheint.
Insofern lassen sich Kötschach, Mauthen und seine Umgebung durchaus als kulinarische Hotspots bezeichnen, die durch ausgesprochen engagierte neue Player wie den gebürtigen Oberösterreicher Stefan Wögerer, mit seiner Weinbar Sto & Enjoy im Herzen von Kötschach immer wieder zusätzliche Bereicherungen erhalten. Auch er hat wie viele im Gailtal mit seiner leidenschaftlichen und offenen Art bereits viele Menschen begeistert.

In der Marktgemeinde Kirchbach, die die geografische Mitte zwischen Hermagor und Kötschach-Mauthen darstellt, ist das obere Gailtal am breitesten, die Wiesen und Äcker leuchten frühmorgens und spätabends im Sommer hier am schönsten. Hier befindet sich auch die von mir persönlich bislang meistfotografierte Berggestalt überhaupt, der Reißkofel, der mit seinen 2.371 Metern die höchste Erhebung der Gailtaler Alpen östlich des Gailbergsattels darstellt. Es ist auch hier der Kontrast zwischen grünem Forst- und Almgebiet und des gewaltigen Kalkstocks, der wie ein steinerner Riese aus der sanften Landschaft empor ragt. Die wunderbare Aussichtskanzel ist nicht ganz einfach zu erklimmen, am kürzesten ist der Weg von der Reisacher Jochalm. Ein besonderes Erlebnis stellen die letzten 20 Gehminuten am ausgesetzten Gipfelgrat dar.

Für alle, die die Berge lieber von unten betrachten und den Facettenreichtum des Gailtales erleben möchten, empfiehlt sich die Unterkunft, von der aus der Reißkofel seine schönste Seite zeigt: das Ferienhaus Backstuber in Goderschach. Gastgeberin Eva Buchacher umsorgt ihre Gäste einmal mehr mit der größten Freundlichkeit und Offenheit, die man sich vorstellen kann. Das gemütlich und vor allem absolut komplett eingerichtete Ferienhaus liegt genau richtig für alle Ausflugsmöglichkeiten, egal ob talauf- oder talabwärts und ist, Sommer wie Winter, eine absolute Ruheoase für alle, die gesellige Stunden in der Natur erleben wollen.

Um diese kleine Liebeserklärung an einen besonderen Landstrich nicht zu lange werden zu lassen, lässt es sich mit der zusammenfassenden Aussage, dass ein Aufenthalt, in einer der schönsten Gegenden Österreichs, die trotz vieler erschwerender Faktoren als Randlage ihre Kreativität, Lebensqualität und vor allem ihre Menschlichkeit nicht nur erhalten, sondern sogar noch mehr gefestigt hat, immer lohnenswert ist und lange in Erinnerung bleiben wird – auf Wunsch auch jederzeit mit mir als persönlichem Reiseführer.
Links & Adressen:
Ferienhaus Backstuber, Eva Buchacher, Goderschach 20, 9634 Gundersheim, E-Mail: mbuchacher@hotmail.com, Tel: +43650 5540311
Biermanufaktur Loncium, Mauthen 60, 9640 Kötschach-Mauthen, www.loncium.at
Edelgreissler Herwig Ertl, Hauptplatz 19, 9640 Kötschach-Mauthen, www.herwig-ertl.at
Gasthof Grünwald, St. Daniel 17, 9635 Dellach/Gail, www.gruenwald.dellach.at
Slow Food Travel Alpe Adria Kärnten, www.slowfood.travel/de
Sto & Enjoy, Stefan Wögerer, Hauptplatz 3a, 9640 Kötschach-Mauthen, www.facebook.com/Stoenjoy/
Bergsteigerdorf Mauthen: www.bergsteigerdoerfer.at/480-0-Bergsteigerdorf-Mauthen.html
Gailtaler Almkäse: www.gailtaler-almkaese.at
Nassfeld-Pressegger See: www.nassfeld.at