„Craft-Bier“ – ein Begriff, dem Bier-Fans und solche, die es werden wollen, zur Zeit im Prinzip nicht ausweichen können. Mittlerweile sind die (mehr oder weniger) handwerklich gebrauten Biere, welche mit ihren Geschmacksnuancen und ihrer Sortenvielfalt bewusst vom Standardsortiment vieler Traditionsbrauereien und damit auch vom Mainstream abweichen auch bei eher pragmatischen Biergenießern, im wahrsten Sinne des Wortes, in aller Munde. Da aber mittlerweile selbst Großbrauereien (ich denke da etwa an die Beck’s-Brauerei in Bremen, Bestandteil des größten und seit 2015 noch größeren Braukonzerns der Welt) sich aufmachen, selbernannte „Craft-Biere“ zu brauen, weil „Craft-Bier“ im Moment quasi der „heiße Scheiß“ (bitte die Ausdrucksweise zu entschuldigen) ist, bei dem jeder seine Finger und Sudpfannen mit im Spiel haben muss, gilt es zu differenzieren und einen für allgemeine Bierkenner schon allzu ausgelaugten Begriff nochmals zu überdenken.
Im Allgemeinen schwappte der „Craft Beer“-Trend aus den USA nach Europa, die ja biertechnisch lange Jahre eher einer Wüste glichen als einer sprudelnden Szene. Die massentauglichen Biere hatten einen eher schalen und nicht allzu bierigen Geschmack, von dem sie aber auch seit dem Einsetzen der Craft-Beer-Welle nicht nennenswert abweichen (liebe Grüße an Bud oder Miller). Also machten sich einige malzaffine Hausbrauer daran, ein geschmackvolles Bier nach ihren Vorstellungen zu brauen. Als sich mit der Zeit immer mehr Genießer für ihre, zur damaligen Zeit, hopfigen Überraschungen begeistern konnten, bestand die Möglichkeit, das Hobby zur Profession zu machen. In den USA findet man heutzutage auch in der Spitzengastronomie oft neben der allseits bekannten Weinkarte auch eine Karte mit Bierempfehlungen. Ein Markt für einzigartige, geschmackvolle und hopfenbetonte Biere war geboren. Es ist unseren Kollegen jenseits des Großen Teichs vor allem hoch anzurechnen, dass bereits bestehende, teilweise sogar eingeschlafene Bierstile wie ein India Pale Ale oder auch die Berliner Weiße wieder belebt und zum Teil als Folge dessen natürlich auch neu interpretiert wurden. Aus kleinen Handwerks-Brauereien wurden, nach hiesigem Maßstab, Großbrauereien, die bei aller propagierten Leidenschaft natürlich auch keine Non-Profit-Organisationen sind, sondern in letzter Instanz Geld verdienen wollen und müssen.
Mit einigen Jahren Verspätung schwappte der Trend nun auch nach Europa und animiert auch hiesige Bierproduzenten zu neuer Kreativität. Jedoch liegt es nun auch an den Konsumenten und Biergenießern, neue Kreationen zu schätzen, Altbewährtes jedoch nicht zu verteufeln. Vor allem ist festzuhalten, dass die Ausgangssituation beim Eindringen der kreativen Bierstile in Österreich oder Deutschland eine folgende andere ist, als damals in den Staaten. Hierzulande gibt es eine hohe Anzahl an kleinen Brauereien, die oftmals bereits Bierspezialitäten brauen, die vor allem in qualitativer Hinsicht manchmal deutlich über Kreativ-Biere aus anderen Ländern zu stellen sind. Und genauso wichtig ist auch der Bestand, dass bestehende, oftmals gut funktionierende Produkte nicht von heute auf morgen langweilig oder altmodisch sein müssen. Es ist bisweilen hochinteressant wie beispielsweise österreichische Mittelstandsbrauereien ein Pale Ale, India Pale Ale oder ein Imperial Porter interpretieren. Und Verkostungen beweisen: auch wir können nicht nur Märzen. Oftmals sind Porter oder Ale aus Österreich ihren Vorbildern aus neuerdings den USA oder (noch früher) Großbritannien sogar geschmacklich überlegen. Auf alle Fälle ist ihnen jedoch eines zuzuschreiben: sie erweitern unseren bierigen Horizont und tragen zur Geschmacksvielfalt bei. Und auch wenn Otto Normalverbraucher, der Bier oft nur nach Preisaktion und Marke kauft, die teureren und geschmacklich ungewohnten Gerstensäfte (noch) großteils verschmäht – das Bewusstsein über das Potenzial von Bier wird unbewusst trotzdem erweitert. Auch die Medien berichten zunehmend über neuartige Biere aus bestehenden und neuen, oft noch handwerklichen Brauereien. Rein vom Gefühl her könnten diese sogar einen Vorteil gegenüber den Arrivierten in Sachen Craft Beer haben: der Konsument tendiert immer mehr zu lokalen Produkten, die in kleinen Mengen und am besten um die Ecke erzeugt werden, auch bedingt durch den zunehmenden Drang nach Individualismus und der, meiner Meinung nach, zumindest bei uns spürbar zunehmenden Wertschätzung für Lebensmittel.
Dies soll aber auf keinen Fall ein Aufruf werden, Biere von größeren, alteingesessenen Braustätten plötzlich zu verschmähen. Manchmal sind ihre langjährige Erfahrung und die bereits vorhandenen hygienischen und produktionstechnischen Standards ein großer Vorteil gegenüber Start-Up-Brauern.
Zusammenfassend glaube ich, dass neugierige Biergenießer sich in Österreich immer mehr in einem „gelobten Land“ befinden und dass andere Bierstile auch neue Konsumenten der „Ich-mag-kein-Bier-Fraktion“ für sich gewinnen können. Es ist faszinierend, wie viele unterschiedliche Kreationen sich aus der Kombination von wenigen (im Prinzip vier), natürlichen Rohstoffen herstellen lassen. Der Biermarkt sollte dies als Chance und als Bereicherung sehen und Kreativ-Biere nicht nur auf einen höheren Preis und ein farbenfrohes, auffallendes Cartoon-Etikett reduzieren. Auch der Stellenwert dieses uralten Getränks in der Gesellschaft könnte weiter steigen und sich so auch in den Köpfen unterbewusst das Stockerl mit dem Wein teilen, dem Bier in Geschmacksvielfalt und Variationsmöglichkeit um nichts nachsteht. Und der sture, aber trotzdem vor allem sympathische und rechtbehaltende Märzen-Trinker wird, wie zeitgenössische Auszeichnungen von heimischen „Hellen“ (das Hirter Märzen konnte beispielsweise beim European Beer Star 2014 die Goldmedaille gewinnen) beweisen, bei uns nach wie vor allerbestens bedient.