Briefe vom Katzentisch

Das Virus aus dem Kitzloch

Nach fast zwei Wochen in „Selbstisolation“ (eines der Unwörter des Jahres) ist es schon fast wieder normal geworden. Normal, dass man sich vor dem Frühstück schon mal zu seinen Mails im Home-Office setzt. Normal, dass man sein Geld in der Jogginghose verdient (Karl Lagerfeld hätte gerade eine schwierige Phase zu überstehen). Und auch normal, dass man jeden Tag die gleiche Spazierrunde im näheren Umkreis dreht, die einem davor extrem eintönig erschien, mittlerweile aber schon fast als Lustwandeln im Garten Eden wahrgenommen wird. Verstehen Sie mich nicht falsch, digitales Arbeiten in den eigenen vier Wänden ist ein Privileg, das viele, die im Moment um ihre Existenz bangen, schlichtweg nicht haben.

Nichtsdestotrotz frage ich mich, warum das Internet so voll von Fitness-Guides ist, die jetzt verstärkt Home-Training forcieren? Bei mir erzeugen diverse Hashtags, reich bebildert mit sportiven Menschen, ehrlich gesagt noch mehr schlechtes Gewissen ob meines süßen Nichtstuns als sonst. Warum springen zusätzlich sogar traditionelle Printmedien auf den Zug auf und empfehlen diverse Amazon-Serien oder warum man in seiner Vorratskammer wieder mal das Knabbergebäck nach Farben oder Füllmenge sortieren sollte? Ich habe, genau genommen, eher weniger Zeit als sonst, da die Versuchung, noch schnell eine Stunde zu arbeiten, doch größer ist, wenn man sowieso nicht am, im Moment nicht vorhandenen, gesellschaftlichen Leben teilnehmen darf. Auch Familien mit Kindern haben sicherlich größere Probleme als darüber zu diskutieren, ob man sich nun eher einen Netflix- oder einen Disney + Account zulegt. Somit ist die vielbesungene Fadesse in Zeiten wie diesen wohl eher ein Thema für kinderlose Paare Anfang 40 und/oder Studenten, die ihr überschweifendes Partyleben vermissen. Besonders „systemrelevante“ Arbeitskräfte fühlen sich wohl ziemlich veräppelt, wenn sie frühmorgens die Zeitung aufschlagen und den x-ten Artikel über „Buchtipps gegen Langeweile“ frei Haus zum Häferlkaffee serviert bekommen.

Beim Einkaufen im Supermarkt kommt man sich ob des massiven Einsatzes von Plexiglas zum Schutz des Kassenpersonals vor wie auf einem Sitzplatz in der zweiten Reihe beim Eishockey. Alle Menschen schleichen ganz und leichtfüßig umher und versuchen, nur ja bei niemandem anzustoßen. Der Einkauf hat sich wie unser ganzes gesellschaftliches Leben schlagartig geändert – von einem Tag auf den anderen.

Bezeichnend ist darüberhinaus, dass die rot-weiß-roten Corona-Hotspots nicht unbedingt unsere Metropolen, sondern Tiroler Skiorte sind und man anscheinend versucht hatte, etwaige Infektionen unter den Tisch zu kehren. So mancher fühlt sich da an die letzte, ziemlich surreale Folge der Piefke-Saga erinnert. Innerlich fühle ich mich in meiner Abneigung für die Institution „Apres-Ski“ bestätigt. Mir hat sich nie erschlossen, was an tanzenden Menschen in Skischuhen im Lumbumba-Rausch, begleitet von Schlagertexten unter der Gürtelline, faszinierend sein soll. Wenn die Lokalität dann noch einen so wunderbaren Namen wie „Kitzloch“ trägt, passt das wie die Faust aufs Auge. Betrunkene, verschwitze Skifahrer tauschen bei „Atemlos“ und „Wie heißt die Mutter von Niki Lauda?“ fröhlich ihre Tröpfchen aus – und Covid19 fühlt sich wohl. Wenigstens ein Aspekt, in dem die Skination noch das hält, was sie verspricht.

„Wir müssen das Land auf Notbetrieb herunterfahren!“, sprach der Kanzler. So geschah es, und von einem Tag auf den anderen wurden wir unserer (von vielen unserer Vorväter und -Mütter) hart erkämpften Grundrechte beraubt.Strg-Alt-Entf – Tasks beenden und wenn das System dann noch immer nicht läuft: Herunterfahren! In der IT im Speziellen und in der Technik im Allgemeinen ist ein Neustart oft die Initialzündung zur Problemlösung. Ein Neustart nach all den gegenwärtigen Corona-Wirren kann demnach also durchaus gelingen. Die große aller Fragen ist im Moment nur: Wann wird das sein?

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