Briefe vom Katzentisch

Das Diktat der Stille – nicht nur zum Jahreswechsel

Der „Lockdown“, oder nach den Niederschlägen in Form von Schnee in den sozialen Medien auch „Flockdown“ genannt, ist derzeit das Gebot der Stunde. In einem Jahr, in dem uns Verbote aller Art sehr geläufig wurden, tritt eine feurige Überraschung in den Hintergrund, die immer mehr vom Aussterben bedroht ist: der Silvesterböller. Bereits zu vergangenen Jahreswechseln machten ihm trockene Vegetationsperioden das Leben schwer. Aufgrund der schwelenden Brandgefahr kam in vielen Regionen des Landes der einzige Knall vom Öffnen der 3-Euro-Puffbrause beim Donauwalzer. Bereits heute, mehr als 24 Stunden vor dem eigentlichen, alljährlichen Runterzählen der Sekunden mehren sich trotz aller Ausgangsbeschränkungen die Knaller in der städtischen Geräuschkulisse. Warum wir so scharf auf das flüchtige pyrotechnische Vergnügen sind? Das hat sich mir noch nie so ganz erschlossen. Wo die Rakete im Idealfall noch Bilder in den vernebelten Winterhimmel zeichnet und für einen kurzen Augenschmaus bei der angetrunkenen Familie sorgt, fällt der Böller doch in puncto Kompetenz klar zurück. Sein plumpes Knallen kann doch nur verwirrte Kriegsveteranen und Tunnelbauer amüsieren, dachte ich mir bereits als Kind. Ich erschrak regelmäßig beim plötzlichen Knall der wenigen Böller, auch wenn ich sie selbst zündete. Manchmal erschreckten mich sogar die häufigen Blindgänger. Nichtsdestotrotz wollte man an der allgemeinen Knallerei in Sackbauer-Manier dazugehören und die 1000er-Packung Knallteufel war neben den zischenden Baby-Raketen der einzig erschwingliche Spaß, der mit Taschengeld-Budget möglich war. Dabei sind wir Österreicher doch sonst vor allem eines: Süchtig nach Stille, nach „unserer Ruhe“. Ein Land, das auf Schalldämpfung getrimmt ist. Ein paar Beispiele gefällig?

„Ruhe tut gut!“ steht auf den Containern, in denen Glasmüll, also vorwiegend leerer Alkohol von den letzten Parties, entsorgt wird, gleich vor den Anweisungen an welchen Wochentagen von wann bis wann man den Krempel entsorgen darf. Nach 19:00 Uhr oder an Feiertagen darf man sich von der Oma am Fenster gegenüber, die sich dein Autokennzeichen akribisch notiert und mit einer Anzeige droht, die wüstesten Beschimpfungen inklusive der Drohung „das wird teuer“ anhören. Das Schädelbrummen, das beim Anblick der leeren Rauschmittelverpackungen herrscht, wird so noch ein Stück vehementer. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass Aggro-Omas an Sonn- und Feiertagen ein Minenfeld aus Glasscherben rund um den Container installiert haben. Luftmangel hoch zwei – im Großhirn der alten Damen genauso wie im nun recht schlapp aussehenden Siegerprodukt des jährlichen ÖAMTC-Reifentests.

Panoptikum Glascontainer – besonders nach den Feiertagen

Oder: Nach der Einführung des Rauchverbotes war eine dominierende Diskussion jene, dass nun der sinkende nikotinsüchtige Bevölkerungsanteil seine Tschick vor dem Beisl rauchen wird und damit nicht nur die Luft verpesten, sondern vor allem die Geräuschkulisse unerträglich laut machen wird. „Wir wollen hier keine südländischen Verhältnisse mit all dem Lärm, Klagenfurt ist eine ruhige Stadt!“, tönte es nach einem Interview mit einem Innenstadtgastronomen aus dem Radio. Was ist das nur für ein Land, in dem niemand von gesundheitlichen Folgen für im Lokal arbeitendes Personal, sondern nur über die ach so lauten Menschen am Gehsteig spricht? Zusätzlich ist das Rauchverbot auch ein Mittel zur Gewaltprävention. Bezüglich Stärke und Massigkeit kann es nämlich kein anderer Gegenstand der sich am oder in der Nähe eines Lokaltisches befindet mit dem Aschenbecher aufnehmen. Ja, ein Glas tut auch weh, wenn es ins Gesicht gedrückt wird. Ein kiloschwerer Ascher bricht zwar nicht, sorgt aber für erhebliche Spätfolgen, die einen dann irgendwann Glasscherben auf der Straße verteilen lassen.

Außerdem ist die Alpenrepublik nicht nur Weltmeister im Seilbahn bauen, Raunzen oder Eisstock schießen, sondern auch im Aufstellen von Lärmschutzwänden. Die ASFINAG rühmt sich damit, auf einer Länge von 1.358 Kilometern an unseren Autobahnen die Schalldampfer aus Beton oder Glas aufgestellt zu haben. Jährlich über 30 Millionen Euro gehen in Lärmschutzmaßnahmen – wesentlich mehr als im EU-Vergleich. Das hat zur Folge, dass der flüchtige Blick auf eine wunderschöne Landschaft (den Bundesdeutsche aber aus Ermangelung dieser oft auch nicht haben) immer öfter unmöglich wird. Oft hat man den Eindruck, man fährt in einem nicht enden wollenden Tunnel, dessen Innenwand zumindest oben mit Himmelmotiven ausgeleuchtet ist. Das Diktat der Stille herrscht auch hier, an den asphaltgewordenen Lebensadern des Landes.

Vielleicht sorgt das Gebot der immerwährenden Stille, das Streben nach Ruhe als Maxime des ungeschriebenen österreichischen Verhaltenskodex auch dafür, dass man zumindest am Ende des Kalenderjahres eben dieses mit tosendem Krach verabschieden möchte. Ein kurzer Ausbruch aus der Norm im Land der Schalldämpfer. Die aktuellen Ausgangsbeschränkungen gehen, gepaart mit dem Knallverbot, eventuell trotzdem eine Symbiose ein. Der traditionelle Familienzwist, der sonst von anderen Mitgliedern mit Böllerlärm überdeckt wurde, fällt nämlich aufgrund der gesetzlich verringerten Teilnehmerzahl bei Silvesterparties wohl aus. Ebenso dürfte sich jegliche Trauer und Sentimentalität, die sich auf das Ableben von 2020 stützt, wohl eher erübrigen. Blöd nur, dass Viren keine profunden Kenner des Gregorianischen Kalenders sind. Aufgrund meiner Unfähigkeit ein passendes Schlusswort zu finden halte ich es mit Karl Valentin: „Früher war alles besser. Sogar die Zukunft.“ In diesem Sinne: Prosit Neujahr!

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