Lockdown-Tag Nummer hundertschießmichtod, der Möchtegern-Bildungsbürger sitzt pflichtbewusst zu Hause, zählt aufgrund mangelnder Kreativität und bereits erledigter Haushaltstätigkeiten die Teelichter und sortiert diese nach Farbe und Größe. Im Hintergrund trällert Udo Jürgens „Heute beginnt der Rest deines Lebens!“. Jo eh, denke ich mir. Der Blick auf das meteorologische Drama ist trist: grau, weiß, schwarz – oasch.
Nichtsdestotrotz raffe ich mich auf, starte den Geschirrspüler des guten Gewissens wegen im „Eco-Mode“ und spaziere durch die triste Klagenfurter Suburb-Hölle, die konzentrischen Kreise rund ums Eigenheim. Seit geraumer Zeit heißt das ja „Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung“. Das klingt paradox, weil der gerade einsetzende Schneefall und die aufgrund der Inversionswetterlage noch intensiver dampfenden Dieselabgase meiner Gesundheit eher nichts Gutes wollen. Auch die psychische Erholung lässt aufgrund des Lichtmangels im Klagenfurter Kaltluftsee eher zu wünschen übrig. Na, dann lass uns mal schauen, was es Neues gibt! Die Supermarkt-Parkplätze, auf denen es kurz vor Weihnachten noch zuging wie auf einem Gemälde von Pieter Bruegel, sind gähnend leer. Im begrenzten Sichtfeld rund um den gnadenlos schlaglöchrigen Südring befinden nur zwei sich bewegende Objekte, es könnten gar Menschen, also potentielle Virenüberträger sein. Jeder Homo Sapiens hat aktuell scheinbar den Status einer Kanalratte oder Kellerassel, mit dem Unterschied, dass man ihn nicht so einfach im Vorübergehen durch Ausräuchern vergiften kann.
Vor der Schnitzelwelt, dem panierenden Nahversorger, steht nun am Transparent: „Abholung möglich!“ Der Geruch von zu altem Frittierfett penetriert meine zarte Nasenschleimhaut. „Endlich hat Corona einen Sinn – die Steirerwochen in der Schnitzelwelt sind vorbei“, denke ich mir. Gefühlt fünf Jahre hing nämlich an derselben Stelle ein Werbesujet, dass einen traditionell grauen Steirerhut und ein Cordon Bleu mit Kürbiskernen darstellte. Anscheinend waren die Steirerwochen ein großer Erfolg. Bis zum Lockdown. Die Menschen besinnen sich ja laut der Meinung großer Zukunftsforscher auf das Wesentliche und machen das, was sie eigentlich machen möchten. Also Schnitzel essen ohne Klimbim, nur mit Kartoffeln als Beilage. Man munkelt, dass sogar schon die Preiselbeeren zu viel des Guten sind. Weniger ist mehr! Ich trotte weiter Richtung Westen und sinniere darüber, ob „Schnitzelwelt“ denn nicht der passendere Name für die Alpenrepublik wäre als das altbackene „Österreich“. Aus geografischen, genauso wie aus ernährungstechnischen Gründen.
Das einzige, noch folgende Großereignis auf dem Rundgang durch meine „Hood“ ist ein herrenloser Einkaufswagen auf einem nicht asphaltierten Gehweg. Er ist gefüllt mit leeren Bierdosen. Ich überwinde das Hindernis und denke mir, wie es wohl wäre, wenn mein ganzer Besitz in einem Einkaufswagen Platz hätte. Weniger ist schließlich mehr. Nachdem ich das stille und einsame Stadion-Ufo passiert habe, beende ich meinen Rundgang durch einen Ort, so farblos wie ein weißes Blatt Papier. Nun singt der Udo Jürgen Bockelmann über die „Lust am Leben“. Ich entferne die blitzblanken Gläser und Tassen, Gabeln, Messer und Löffel aus dem Geschirrspüler und erfreue mich an ihrem Glanz.
Oft sind es die kleinen Dinge, die einem eine große Freude machen, denke ich mir, während das Fett in der Pfanne unter der Hitze seinen Aggregatszustand verändert. Bröselteppich, goldbraun, ohne Beilage, weil weniger ist ja bekanntlich mehr. Am Kalender steht: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter!“ Ich reiße das Blatt herunter und esse es auf. Die restlichen 51 Wochen voller Motivation und Inspiration verbrenne ich rituell im Garten. Schluss mit der Diktatur des positiven Denkens! Happy Lockdown!
Fotocredit: Pixabay
Tolle Sprache…
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Vielen Dank für die Blumen!
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