Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Liebe geht durch den Magen. Oder, um es mit Bertolt Brecht zu sagen: „Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr! Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her.“
Besonders in dystopischen Zeiten, in denen Wirtshäuser und Eckkneipen, räudige Etablissements genauso wie Sterne-Restaurants ihre Pforten verriegelt haben müssen und der Zapfhahn trocken und die Gaskartusche voll bleibt, besinnt man sich wieder nach der Vielfalt der Lokalitäten. Ich an meiner Stelle bin weder Beilagenesser, noch Fleischtiger. Kein Flexi-, Pesco- oder sonstwas -arier. Egal ob Fisch, Fleisch oder Pastinaken: es muss was liegen auf der Platte.
Ein Dorn im Auge sind da diverse Nobelbuden, die Michelin-Sterne einheimsen wie Reifen in der Formel 1 kaputtgehen. Das schummrige, aber dennoch ungemütliche Licht beim Betreten dieser Etablissements wirkt oft so, als hätte man auf zehn Quadratmetern Fläche ein vor sich hin flimmerndes Teelicht angezündet. Stimmung wie in einer Krypta. Die Tischtücher und Servietten sind kalkweiß wie die Gesichter des auf Trinkgeld angewiesenen Personals. Champagner als Aperitif? Klar, was kostet die Welt! Aperitif, dass ich nicht lache! Hier brauche ich Brause für den Suff, nicht um den Appetit anzuregen. Ich bin nämlich schon hungrig, bevor ich die Lokalität entere.
Nirgendwo kann man so viele Fehler machen wie im Nobelrestaurant. Ein Nano-Essen zu Maxi-Preisen als Extented Version des Arbeitstages für gestresste Rechtsanwälte oder Notenbanker. Erst wenn sich der Krawattenknopf lockert, ist der Arbeitstag vorbei. Es folgen denkwürdige Momente, in denen das Gabeln nach Essen am Teller mit 90 Zentimetern Durchmesser einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleicht. Innereien einer Kaulquappe, umgeben von einer bunten Blumenwiese. Nach dem Dessert, einem fingerhutgroßen Schokomousse, gekrönt von der üblichen, völlig überflüssigen Physalis, ist dann die linke Magenhälfte leicht benetzt. Aufgrund von diversen Gärgetränken oder der Rechnung, die stilgerecht im Lederetui serviert wird, wird das Licht noch ein wenig schummriger. Welcher Mensch empfindet hier Leichtigkeit und Lebensfreude? Wahrscheinlich freuen sich Madame und Monsieur schon beim Eintreten auf die Waldviertler am Würstelstand, abgerundet durch das kalte Blech einer Bierpatrone.
Doch es geht auch anders. Das Hipstertum hat mittlerweile Einzug in der Sternegastronomie gehalten. Oft wirkt es, als würden sich ambitionierte Gastro-Yuppies im Business-Plan schon die Haube ins Geschäft mit einkalkulieren. Und Respekt, das funktioniert dann auch. In zart upgedateten Landgasthöfen, die noch mit ein paar Möbeln aus dem einschlägigen Stadt-Antiquariat garniert wurden, lässt man sich in tiefe Sessel fallen. Keiner von ihnen gleicht dem anderen. Eine Speisekarte hält man hier auch für überflüssig. Der Kellner, der in entspannter Pose alle Gerichte mit „lässig“, „cool“ und „geil“ anpreist, weiß sowieso Bescheid. Eine Hand befindet sich im tiefen Hilfiger-Hosensack, die andere lehnt am Tresen. Er ist der erhabene und unnahbare Herrscher über das Menü.
Beim genaueren Hinschauen ergeben sich zwei Probleme. Erstens kann man sich die „fancy“ Gerichte sowieso nie alle merken und nimmt dann erst wieder Steak und zweitens traut sich niemand nach dem Preis zu fragen. Das sorgt für lange Gesichter beim Blick auf die Rechnung, die im Anschluss an das spärliche Festmahl ohne Stil im Vorbeigehen auf den verschlissenen Lärchenfurniertisch abgelegt wird.
Versteht mich nicht falsch, ich bein kein achtloser Schnitzelfresser, der bei der Bestellung eines kleinen Biers schon Wut im Bauch bekommt. Auch in der Küche ist die Welt mehr bunt als grau. Die Sinneseindrücke von Tellerfreuden und wunderbaren vergorenen Säften zählen zu den Motiven, die einen Ja zum Leben sagen lassen. Ich bin immer neugierig auf kulinarische Experimente, gekocht von Menschen aller Farben und Formen. Aber: die immer mehr schwindende goldene lukullische Mitte macht es aus. Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise, dazu Märzenbecher oder Veltlinerglück, danach einen Kräuterlikör (in Österreich eher die „Medizin“ als Fettzerteiler). Ob dann am Teller Leber oder Avocado-Püree lagen, ist dann gar nicht mehr so wichtig. Und: Im Zweifelsfall darf es dann doch eher das Wirtshaus sein, in dem einem beim Eintreten eine Wolke an Missgunst, Verzweiflung, Aggression und Bierdunst entgegenschwebt. Denn auch wenn Essen mittlerweile schon eher als Statussymbol als zur bloßen Erhaltung der Körperfunktionen genutzt wird: Nichts geht über das Gefühl der leicht lähmenden Sattheit nach einem reichhaltigen, bunten Menü mit gut gemachten Drinks und anregenden Gesprächen!
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