Ach, Ländle, auch wenn du von vielen als Versuchsschweiz verballhornt wirst: Ich mag dich! Magst du auch als Land ein Zwerg sein, du bist schon ein besonderer Flecken Erde. Nicht nur deine große Entfernung vom Zentrum der Macht macht dich speziell. Dein Käse ist die Krönung der gelben Milchpalette, dein Bier ist immer um ein Etzerl stärker und deine Pampa wirkt wie ein Hipster-Domizil, mit Grundstückspreisen wie in bester Innenstadtlage.
Nun kamen neulich weitere Privilegien dazu: Gezapftes Bier und offene Wirtshäuser ab Mitte März. Landeshauptmann Wallner sprach von einer besseren Lage als in „Rest-Österreich“ und Bundeskanzler Kurz sagte, der „Arlberg, der das Land vom Rest abtrennt, werde nun sogar zum Vorteil. Denn kein Wiener setzt sich für ein gastronomisches Angebot sieben Stunden in den Zug.“
In Europa gibt es nicht viele Länder, die so sehr mit ihren natürlichen Grenzen zu kämpfen haben wie Österreich. Der Alpenhauptkamm ist Wetter-, Viren- und anscheinend oft auch Gedankenscheide. Wenn dann noch das Skidorado Arlberg dazukommt, wird aus grenzenlos schnell abgeschlossen. Bekanntlich sind ja die slawischen Völker, mit ihrer an Genialität grenzenden melancholischen Grundhaltung, äußerst uneins darüber, wo denn der „echte Balkan“ beginnen würde. Die Ansicht, dass dieser direkt hinter dem Arlberg begänne, wäre für so manchen Kroaten, der beim Begriff „Balkan“ stets in Richtung Banja Luka schielt, schlichtweg ein Schock. Gleichzeit bezeichnen bereits Tiroler, nach Ansicht der Vorarlberger ja Balkan-Bewohner, das Ländle oft als „Kanton Übrig“. Der geneigte Alemannenstolz schüttelt sich kurz und wendet sich wieder der Schweiz, Liechtenstein und dem Schwäbischen Meer zu.
Denn das Ländle ist reich. Reich an Wirtschaftskraft und Weltmarktführern, reich an reizvoller Landschaft und den wohl schönsten Bauernhäusern der Republik. Und noch dazu kommt es ohne Freiheitsmythos und allzu großen Alpen-Goldstuck-Mozart-Kitsch aus. Auch braucht es weder Andreas Gabalier noch Silofutter im Heumilchparadies zum Erfolg. Und die Inszenierung des Älpler-Heidi-Kitsches fehlt nahezu vollständig. Kässpätzle wurden vom Arme-Leute-Essen zum ausgeklügelten Gourmetmenü erhoben. Der Bregenzerwald ist die urbanste Landregion Österreichs mit Menschen, die wesentlich mehr „out of the box“ denken und sich nicht nur dem momentan allzu willkürlichen Schicksal der Tourismusöffnungen hingeben. Und am wenigsten brauchen die Vorarlberger eine verständliche Sprache, wenngleich ihr rollendes „R“ sie vielleicht auch zu den Latinos unter den Alemannen macht. Hoch die Gebse!
Die Tiroler und Vorarlberger mögen bald nur noch Eines gemeinsam haben: Ihren skeptischen Blick nach Wien. Denn während sich in den Aerosolen des Andreas-Hofer-Landes tanzende Virusmutationen aus aller Welt ein Stelldichein geben, wird das Ländle nun zum Vorzeige- und Musterland auserkoren. Und das, obwohl seine Grenze zu Österreich wesentlich weniger lang und schwerer zu überwinden ist als jene zum Ausland. Kommt etwa das Virus doch nicht mit dem Auto über die Grenze?
Während man also in „Dorabira“ oder „Luschtnou“ schon bald seine „rote Patrona“ (gemeint ist das Spezialbier der größten Vorarlberger Brauerei) im Gastgarten vom Fass genießen darf, müssen wir „Rest-Österreicher“ (immerhin 8,5 Millionen Menschen) weiter auf lang ersehnte Lockerungen warten. Ich bin schon gespannt, wie solche Maßnahmen im so föderalen Deutschland wirken würden, wenn der bayrische Ministerpräsident von „Rest-Deutschland“ sprechen würde. Potenziert man diese Art der Kommunikation spricht man auf Malta bald von „Rest-Europa“ und in China von der „Rest-Welt“.
Ich hingegen achte sehr bewusst darauf, die Reste meiner Tellernahrung zu verzehren, damit das Wetter so frühlingshaft bleibt und das Virus sich endlich in eine Gegend jenseits unserer Atmosphäre schleicht. Gleichzeitig hoffe ich darauf, dass übrig gebliebene Rest-Dosen der rettenden Vakzine verimpft werden, um die Bevölkerung rest-los zu immunisieren. Und trotz des heldenhaften Vorreitertums im Ländle bleibt ja immer noch ein Rest-Risiko. Möge es gering ausfallen und uns Rest-Österreichern wieder mehr ermöglichen. Immerhin beginnt jetzt gerade ja der Rest unseres Lebens.