Samstag, 7 Uhr früh, schlangenweise stehen vollgepackte Pampersbomber und Autos mit Pongratz-Anhänger vor der Altstoffsammelstelle und warten auf die betreute Entladung.
Der Pongratz-Anhänger: das Phallussymbol des ambitionierten Heimwerkers, bei dem die Auswahl der Badezimmer-Fliesen zum dreijährigen Bachelor-Studium inklusive Difensio vor der Ehefrau wird. Da stehen sie alle, gebremst und ungebremst, mit oder ohne E-Schein und warten auf die Öffnung der Pforte zum himmlischen Mekka der Ordnung. Marie Kondo wäre stolz auf die fleißigen Entrümpler. Trennnetze aller Farben schützen den Stoff, aus dem Aussortiererträume sind. Zuhause, frei nach Peter Fox: alles glänzt – mach neu!
Dann geht es ab zum jüngsten Schuttgericht. Frei nach dem Bundesheer-Rekruten-Motto: „Du brauchst nit denken, hier denken wir für dich!“ entblößt man seinen Kofferraum, die Heinwerkerhöhle, und fühlt sich, als hätte man gerade seine Genitalien zur Schau gestellt. Das jüngste Gericht der Abfallwirtschaft. Hier gibt es kein Digital, hier herrscht Analogität vor. Elektronisch erfolgt nur die Zahlung per Karte, auf deren Forderung die Hüter des Mülls widerwillig die lächerlich niedrige Summe von 4 Euro in das Plastikkastl tippen. Waste Management zum Dumping Preis. Nur nackt ist billiger! Was danach folgt ist exerziertes Entsorgen, geleitet von starker Hand, inmitten der rauen Kulisse aus Asphalt, Stahl und knallig orangenen Abfallcontainern.
Ein Führungskräftetraining könnte nicht anders ablaufen. Delegieren, heißt es, sei eine wichtige Tätigkeit als leitender Leistungsträger in Unternehmen. Genau das kommt hier in seiner höchsten Ausprägung zum Einsatz! Statt in teure Coachings sollten Unternehmen ihre Abteilungsleiter lieber zu einem Weiterbildungsvormittag zur Altstoffsammelzentrale schicken – Ausmistung von Büromüll und Altakten inklusive! Auch uns Sesselfurzern tut Erleichterung von Altlasten gut. Mit ihrem machtvollen Gesichtsausdruck und rhythmischen Bewegungen von Hand, Daumen und Arm Richtung Plastik, Sperrmüll und Metall zeigen die Müllwärter an, wohin der Abfall läuft.
Die Sicherheit, mit der das zerberushafte Personal die Wegwerfenden in die Schranken weist, ist sensationell. Was liegt das pickt. Die Menschen werden immer schneller beim Wegwerfen! „Alteisen, nit Sperrmüll!“, schreien die Dirigenten des großen Abfalltheaters lautstark. Zaghaft nimmt man das Ende seines alten Mikrofonständers wieder aus der orangenen Tonne heraus und katapultiert es schleunigst an seinen richtigen Platz. Der Maestro nickt kaum wahrnehmbar und wendet seinen Blick mit Ekel vom Antlitz des niederen Müllpöbels ab.
Die von Schweiß, Demut und Unterdrückung bestimmte Szenerie am betonierten Oberdeck ist jedoch nur das Vorspiel für das Happening im Unterdeck der Müllinsel. Richtig rund geht’s erst beim Bauschutt. Vor Schweiß triefende Menschen hieven tonnenschwere Säcke voller Zement- und Betonresten über eine 1,50 Meter hohe Schwelle. Die Eisen, die oft aus dem Fels ragen, werden gekonnt unter den wachsamen Augen der Ordnungshüter am Rand des Behälters versenkt. Die schon jetzt unter starken Rückenschmerzen leidenden Menschen grinsen neckisch über jede kleine Gelegenheit, in der sie dem Müllplatzpersonal eins auswischen können. Physiotherapeuten hingegen freuen sich schon auf die Behandlung der Bandscheibenvorfälle in Großserie, die hier in nur einem Nachmittag entstehen.
Wie die reich mit Nektar und Ambrosia bestückte Oase in der Wüste wirkt hier der Wellblechcontainer, in der Bücher und Magazine aus dem Müll aussortiert werden. Die Müllplatzordnungshüter sind sich anscheinend der Relevanz von Wissen und Kultur bewusst. So findet man, fein unsortiert, die großen Namen der Weltliteratur in einer Welt aus Schutt und Asche: Musil neben Badezimmerarmaturen aus den 60ern, Shakespeare oberhalb von olivgrünen Porzellanwaschbecken. Vor allem aber Bastei-Hefte, Arztromane und Erotikzeitschriften aus dem Altertum. Sie tragen klingende Namen wie „Feigenblatt“ oder „Praline“ und berichten aus einer Zeit, in der Schambehaarung noch die Basis für zwischenmenschliche Ergüsse war. In Summe ist der mit altem Papier gefüllte Aufbau im Verhältnis aber ein Walhalla des Wissens am Rande der Mistkathedrale.
Fragt man beschämt nach dem Platz für den Grünschnitt, wird man nur hämisch belächelt. Dieser hätte hier keinen Platz und muss an die Stadtgrenze gebracht werden. Dort angekommen, mustern vier geschulte Augen das abfällige Gestrüpp aus Smaragdthujen und anderen Giftpflanzen. Der Blick auf das Kfz-Kennzeichen verrät die nicht heimatbezirkliche Herkunft. Wie Wile E. Coyote auf der Jagd nach Road Runner donnern wir mit unserem Entsorgungsvorhaben gegen harte Stahlwände. Letztlich sind wir trotzdem erleichtert. Die Trumpfass sticht. Im Gegensatz zur großen Professionalität und Unbestechlichkeit, die bei Sperrmüll, Plastik und Alteisen herrscht, kann man hier noch mittels Hopfen und Malz Korruption im kleinen Stil auslösen. Klein, aber hilfreich und doch offensichtlich: einer der letzten Plätze in diesem verwunschenen Land, wo dies noch möglich ist, ohne ein offizieller Würdenträger zu sein oder peinlich devote Chats schreiben zu müssen! Grazie Mülle und auf Wiedersehen – bis zum nächsten Mal vor dem neutralen Schuttgericht, dem Reich der Unbestechlichen!
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