Stanglpass

Schleimspur zum Main – oder warum Fußball doch noch geil ist

Ach, Fußball, du weltumspannender Sport! Ob mit Fetzenlaberln im Libanon oder mit High-Tech-Wuchteln in Katar: im Prinzip geht es nur um das Eine – und damit meine ich nicht den schnöden Mammon, sondern die Tatsache, dass das Runde ins Eckige muss (5 Euro ins Phrasenschwein). In den letzten Jahren nahm mein Interesse am Gekicke nahezu exponentiell ab. Das beruht nicht nur auf der elenden Pandemie und der damit verbundenen Tatsache, dass FIFA auf der Playstation plötzlich realer wirkte als die Live-Übertragungen auf Sky, sondern vielmehr, dass sich der ewig gleiche Klub der Superreichen den Henkelpott der Champions League ausmacht, Bayern München Meisterschaften feiert wie ich den erledigten Abwasch und die WM im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste geschickt wird. 
Doch dann zeigte der COVID erste Schwächen, Austria Klagenfurt stieg sensationell doch noch in die Bundesliga auf und die Squadra Azzurra wurde mit einer noch nie dagewesenen Passion Europameister. Dies alles nährte plötzlich meinen Glauben an den vielgeschundenen „Rasenballsport“, wie er im Dosenstieruniversum genannt wird. 

In den letzten Wochen wogten in mir die Geister hin und her. Der Leidensdruck auf meinen langjährigen Herzens-Hassliebe-Verein Hertha BSC (sorry, Blau-Weiß, aber Union ist derzeit einfach cooler, und vor allem sportlich erfolgreicher in der Hauptstadt) stieg zusehends. Sage und schreibe drei Matchbälle auf den Klassenerhalt, das Minimalziel aller Minimalziele, eigentlich viel zu wenig für den selbsternannten „Big City Club“, wurden vergeben – alle in den letzten 10 Minuten. Und das, obwohl ein einziger verdammter Punkt gereicht hätte. Gefühlt wirkt die Truppe schon seit Jahren wie ein zusammengewürfelter Haufen ohne Charisma, der nur durch Geistesblitze und Energieleistungen Einzelner manchmal zum Erfolg kommt, in Summe jedoch an Esprit, Einsatzbereitschaft und Mannschaftsgefüge vermissen lässt. Der drohende Abstieg wäre nach dem gestrigen Rumpelkick im stimmungsmäßigen Heim-Auswärtsspiel die logische Folge und letztendlich sogar verdient. So leid es mir tut, liebe Hertha, noch nie ist jemand mit so viel Investorengeld so tief gefallen. Der FC Bayern wurde früher bei internen Querelen als „FC Hollywood“ bezeichnet. Doch dazu reicht es bei der alten Dame aus Berlin leider nicht. Vielmehr ist das, was seit Jahren in Charlottenburg passiert, Jackass auf Amateurniveau – in Dauerschleife. Auch die Frage, wie sich ein Abstieg auswirken würde, lässt mich ratlos zurück. Fakt ist jedoch: der von Transparenten im weiten Oval des Olympiastadions prangende Spruch „In Berlin nur Hertha – nur Hertha in Berlin“ gehört der Vergangenheit an – liebe Grüße nach Köpenick!

Waldstadion vor Spielbeginn bei meinem Besuch im Jahr 2019, Foto: Johannes Moser

Der Schweinskick in der Relegation war gewissermaßen die Rosskur nach dem schillernden Europapokalabend von Eintracht Frankfurt, die Rückholaktion von der skyscrapenden Mainmetropole auf das Trottoir der Bundesliga. Betis Sevilla, Barcelona, West Ham und schließlich die Rangers aus Glasgow wurden ausgeschaltet, Geschichte wurde geschrieben, ganze Städte in Südeuropa wurden von Fans aus „Bembeltown“ übervölkert. Die Fankultur in Frankfurt, die nun einem breiten internationalen Publikum bekannt ist, gibt es nicht erst seit gestern. Der „Frankfurt Roar“, der im Frühjahr 2022 durch die Medien geistert, macht gefühlt halb Europa gerade traurig, nicht Frankfurt-Anhänger zu sein. Bleibt zu hoffen, dass sich nicht allzu viele Alibi-Anhänger aus München, Leipzig oder Leverkusen plötzlich bei der Eintracht einschleimen. Auch dieser Club machte schwierige Zeiten durch, war in den Niederungen der zweiten Liga beheimatet. Seit dem Pokalsieg anno 2018 unter Niko Kovac scheint aber ein Ruck durch Mainhattan gegangen zu sein und die Erfolgsspur in K.O.-Bewerben wurde seitdem nicht verlassen. Das erste Mal hat man das Gefühl, dass Profikicker es ernst meinen, wenn sie sich bei den Fans für ihre Unterstützung bedanken. Die Europapokalabende mit Frankfurt waren Unterhaltung erster Güte und weckten in mir die Erkenntnis, dass Fußball doch geil, unvorhersehbar und mitreißend sein kann. Diese Spiele ließen einen das Handy endlich weglegen und schärften die Sinne für die Qualitäten einer Truppe, die im scheinbar schmucklosen Alltag Bundesliga nur Platz 11 belegte, aber trotzdem im UEFA-Supercup gegen Liverpool oder Real Madrid antreten darf. Der Schwung, die weiße Wand im heißen Sevilla, die vielstimmige Überzahl im Camp Nou und viele weitere Momente zeigten, dass es am Ende nicht „am Platz“ entscheidend ist, sondern auch daneben. Die Geschichten rund um das scheinbar einfache Spiel und die Überraschungen, die trotz allem Kommerz und der hässlichen Fratze des Kapitalismus immer wieder drin sind, machen das Gekicke am Grün aus. Meine Schleimspur in Richtung Frankfurter Stadtwald endet hier – danke für schöne Momente der simplen Ekstase in einer überkomplizierten Welt. Mund abputzen – weitermachen! 

Beitragsbild: Pixabay

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