Briefe vom Katzentisch

Donnergrollen im Paradies: Italien, das Land der Gegensätze

Italien, das Sehnsuchtsland im Süden: warmes Klima, schmackhafte Küche und das scheinbar allgemeingültige „Dolce Vita“ locken Menschen aus allen Himmelsrichtungen immer wieder in das Land, in die sprichwörtlichen „Zitronen blühen“. Doch ist das Leben auf der Appennin-Halbinsel wirklich so süß und angenehm? Betrachtet man die aktuelle politische Situation, die nur allzu deutlich veranschaulicht, wie verunsichert und zerfahren ein großer Teil der Italiener ist, lässt sich ein langsam ansetzende Patina am schimmernden Lack des Stiefels feststellen. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone leidet nämlich nicht nur unter einer inflationären Korruption, die längst über die von Hollywood-Filmen verbreitete Mafia-Romantik hinausgeht, sondern hat handfeste Probleme, jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Diese verlassen in Scharen einen Staat, der diese Bezeichnung, die eigentlich zumindest den Ansatz einer kollektiven Identität garantieren sollte, nicht wirklich verdient hat. Auf die Frage nach der persönlichen Herkunft wird man nämlich von Italienern in vielen Fällen Antworten wie „Milano“, „Firenze“ oder „Torino“ anstelle von „Italy“ hören. Man ist in erster Linie immer Friulaner, Toskaner oder Sizilianer. Kollektive Einheit zeigt die Nation praktisch nur bei Spielen des Fußballnationalteams, der „Squadra Azzurra“, die ja bekanntlich auch schon bessere Zeiten erlebt hat.

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Italiener besitzen ein ausgeprägtes Regionalbewusstsein und streben, wie beispielsweise die Volksabstimmung im Veneto im Herbst des vergangenen Jahres beweist, mehr und mehr nach Autonomie. Dies liegt vor allem daran, dass das heutige Italien ein sehr junger Nationalstaat ist und seit dem Risorgimento im Jahr 1861 keine richtige Nationswerdung vollzogen hat. Hinzu kommen die enormen kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen dem Norden, der zu den reichsten Regionen Europas zählt und dem ärmeren Süden, dem sogenannten „Mezzogiorno“. Dazwischen liegt Rom, die „Ewige Stadt“, die sich am besten Weg zum absoluten Chaos und zur Unregierbarkeit befindet. Bei aller Italien-Romantik und Möchtegern-Italianità, die hierzulande gerne an den Tag gelegt wird: die Lebensqualität in der italienischen Hauptstadt lässt zu wünschen übrig. Das eklatante Müllproblem, die stark verschuldeten und noch dazu enorm unzuverlässigen öffentlichen Verkehrsmittel und die zunehmende Ghettoisierung von Vorstädten lassen einen Umstand unmittelbar erkennen: Rom funktioniert, im Vergleich zu anderen Metropolen in Europa, schlichtweg nicht.

 

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Über das (nicht vorhandenen) Miteinander in Italien kann plakativ gesagt werden: der Norden hasst den Süden, der Süden verteufelt den Norden und jeder hasst Rom. Ein starkes Kollektiv sieht anders aus. Es ist also nie ganz korrekt, wenn italophile Alpenrepublikaner, die stolz auf Italienisch ihr „Gelato“ ordern und regelmäßig für lukullische Genüsse nach Tarvis fahren, von „der“ italienischen Küche, „der“ italienischen Gastfreundschaft und dem „einen“, so melodisch klingenden italienischen Idiom sprechen. Denn auch die Hochsprache selbst ist eigentlich nur der Dialekt der Florentiner, welcher den anderen Landesteilen im Zuge der nationalen Einigung aufs Auge gedrückt wurde.

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Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Situation auf der italienischen Halbinsel in gesellschaftlicher, politischer und vor allem kultureller Hinsicht äußerst komplex ist.

Doch trotz aller Probleme, die am und rund um den Appennin herrschen, sprechen wir hier über eine uralte Kulturnation, die voller Gegensätze ist und die europäische Geschichte entscheidend geprägt hat. Ebenso kann man den Italienern zu Gute halten, dass sie sich trotz allem nicht unterkriegen lassen. Sie sind  so in gewisser Weise auch die Stehaufmännchen südlich der Alpen. Auch verfügt kein Staat in Europa über eine derartige landschaftliche Vielfalt innerhalb seiner Staatsgrenzen. Man besitzt einen kulturellen Reichtum, der über Jahrtausende gewachsen ist. Und letztendlich beneiden wir die Italiener auch für ihr Stilbewusstsein und ihre allen Widrigkeiten trotzende Lebenslust. Denn Glanz und Glamour sind genauso wie Schmutz und Elend alltägliche Begleiter des italienischen Alltages. Denn Italien ist kein Land, es ist viel mehr ein Sammelbegriff für das alltägliche Chaos am mediterranen Stiefel Europas.

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