Von der Metropole zur Provinzstadt und wieder zurück? Blickt man in die Geschichte der östlichsten Großstadt Italiens, so vernimmt man in den letzten Jahrhunderten geradezu eine historische Achterbahnfahrt in Etappen. Triest (oder auch Trieste und Trst) war vieles: eine römische Siedlung, ein verschlafenes Fischerstädtchen, ein Freihafen des Habsburgerreiches und somit dessen Tor zur Welt und eine Freizone, um die sich so manches, mittlerweile verblichenes Staatengebilde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vorzüglich stritt. Heutzutage ist Triest die Hauptstadt der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien und wirkt, aus der Luft betrachtet, irgendwie eingezwickt zwischen dem slowenischen Karst, Istrien und dem Meer, wie ein etwas unförmig wirkender letzter Zipfel Italien inmitten des slawischen Sprachgebiets. Und genau das ist und war Triest auch in der Vergangenheit: eine Multi-Kulti-Metropole an der Adria, in der sich mit der romanischen, der deutschen und der slawischen die drei großen Sprachfamilien Europas trafen. Diese Einflüsse sind immer noch spürbar und locken Menschen aus allen Ecken Europas, insbesondere Österreicher mit Sehnsucht nach dem Süden und ein bisschen vielbesungener Italianità, in die Stadt am Golf.
Bei Streifzügen durch die Kaffeemetropole, die ich liebend gerne im Zick-Zack und ohne streng vorgegebene digitale und analoge Navigatoren durchführe, setzen sich bald einige Impressionen im Kopfkino des Triest-Besuchers fest.

Nummer 1: Triest sieht oft aus wie Wien, ohne Transdanubien und Gänsehäufel, dafür mit Mittelmeer und etwas Patina. Nach der Erklärung zum Freihafen anno 1719 haben erst Maria Theresia (die die Stadt selbst angeblich nie besucht haben soll) und danach ihr Spross Josef II. aus Triest eine kaiserliche Stadt am Reißbrett machen lassen. Die so entstandenen Stadtviertel tragen mit „Borgo Teresiano“ und „Borgo Giuseppino“ auch die Namen der Regenten. Diese Stadtteile überraschen den interessierten Architektur-Bewunderer mit willkommener Vielfalt, viele Bauten glänzen mit eindrucksvollen Historismus- und Jugendstilfassaden. Vielfach entstanden aber auch typisch italienische Mietskasernen und so wirken die opulenten Palazzi tatsächlich wie ein Stück Ringstraße, das an die Adria ausgelagert wurde, weil in Wien kein Platz mehr war. Auch Kaffeehäuser, die ja auch in der österreichischen Hauptstadt gerne als Sehenswürdigkeiten verkauft werden, gibt es einige – und noch heute entstehen dort literarische Ergüsse. Besonders erwähnenswert ist das Jugendstil-Cafè San Marco, in die sich der Schriftsteller und Germanistik-Professor Claudio Magris sogar seine Post schicken lässt.
Eines haben die baulichen Maßnahmen in Triest auf alle Fälle gemein: sie sind sehenswert – und kräfteraubend. Wer wie ich die Stadt ohne Plan auf gut Glück durchwandert und auch die römischen Spuren am Hügel San Giusto nicht auslassen möchte macht auch einige Höhenmeter. Denn Triest liegt direkt auf und vor einem über 300 Meter hohen Karsthügel, der entsprechende steil zum Meer hin abfällt.

Nummer 2: Kaiserliche Opulenz erscheint hier nicht auf den ersten Blick und wird nicht auf ganz so marktschreierische Art und Weise an Mann und Frau gebracht. Gut so, wir sind ja schließlich immer noch in Italien, einem Land, das im Laufe des letzten Jahrhunderts einige Faschismus-Wellen durchmachen musste. Insofern wurde das Italienertum auch den Triestinern quasi verordnet, wenngleich diese sich vor allem in persönlichen Gesprächen gerne an die „gute“ alte Zeit unter Cecco Peppe (damit meint man Kaiser Franz Josef I. von Österreich) erinnern, obwohl nicht einmal ihre Großväter diese auch nur annähernd miterlebt haben. Doch eben genau diese Eigenschaft, nämlich Rückgewandtheit, gepaart mit ewigen „früher war alles besser“-Sagern teilen die Triestiner mit ihren nördlichen Nachbarn aus Österreich, mit denen sie 500 Jahre in einem Staatenbund lebten. Das Jammern auf hohem Niveau, das ja hierzulande durchaus als Volkssport betrachtet werden kann, hat sich so scheinbar schleichend auch auf die Multi-Kulti-Gesellschaft an der Adria übertragen. So wird Triest, verglichen mit anderen Städten in Italien, in Studien häufig eine übermäßig hohe Lebensqualität bescheinigt. Ein Paradoxon, das die Wiener auch kennen, wenn sie leidenschaftlich über die Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit schimpfen.

Nummer 3: Triest hat wie Venedig einen Canal Grande, wird aber weniger von Chinesen und Amis in Mitleidenschaft gezogen. Zugegeben, der Canal ist im Vergleich zu jenem in der Lagunenstadt eher mickrig, dafür lässt es sich ohne klaustrophobische Anfälle vorzüglich schlendern und flanieren, aufs Meer schauen oder Kaffee trinken. Und der magische Blick in den Golf von Triest von der Piazza Unità, flankiert von den zwei Säulen mit dem Triestiner Dreizack, entschädigt für alle mehr oder weniger großen Strapazen, die der Besucher auf sich genommen hat, um „Österreichs Hafen“ kennenzulernen.

Nummer 4: Eine der liebenswertesten Sehenswürdigkeiten fährt leider (momentan) nicht mehr – die Tranvia di Opicina. Nach einem Unfall im letzten Jahr ist der Betrieb der seit 1902 verkehrenden Standseilbahn „vorübergehend“ ausgesetzt. Eine Fortführung ist leider fraglich. Die Retro-Straßenbahn (man verzeihe mir den Ausdruck) überwindet auf einer Strecke von gut fünf Kilometern einen Höhenunterschied von über 300 Metern. Auf dem steilsten Stück braucht sie dabei sogar Hilfe von einem Schiebe- und Bremswagen. Blickt man ein Jahrhundert zurück, so wurde die heute als technische Meisterleistung geadelte Straßenbahn konstruiert, um die Arbeiter aus dem Karst in den Hafen nach Triest zu bringen. Genau diese Atmosphäre ist immer noch in den holzvertäfelten, mit Vorhängen ausgestatteten Waggons spürbar. Möge der Betrieb fortgeführt werden – die Tranvia ist mit das sympathischste und aufregendste Wahrzeichen von Triest. Und ermöglicht sie dem gespannten Triest-Besucher ein Park & Ride der besonderen Art, wenn bei der Fahrt durch steile Häuserschluchten das Meer und der Golf von Triest immer näher kommen. Es gibt wohl keine würdigere Art und Weise, dieser Stadt mit all ihrer Ausstrahlung und Historie näherzukommen.
