Alle Jahre wieder kommen nicht nur Christkind, Nikolaus, Opernball und der Tag der Arbeit. Denn wenn jährlich Mitte Mai der Frühling seine sanfte, wärmende Hand über große Teile des Kontinents ausgebreitet hat, singen neben Amsel, Drossel, Fink und Star auch die nationalen auserwählten Sternchen beim Eurovision Song Contest, dem größten Wettsingen von Europa (und mittlerweile auch Australien). Auch für meine Wenigkeit gehört die Veranstaltung bzw. das „Event“ jährlich zu den wenigen, noch existenten Fernseh-Highlights. Man legt die Füße hoch, kredenzt salzige Knabbereien und lauscht mehr oder weniger aufmerksam dem bunten Treiben im Fernsehkastl. Im (ziemlich exakt eingehaltenen) Drei-Minuten-Takt urteilt man über Siegchancen, Radiotauglichkeit und persönliche Meinungen zu den Darbietungen. Unterbrochen werden diese immer von mehr oder weniger kreativen Shortcuts über die schönsten und oft auch entlegensten Winkel des jeweiligen Austragungslandes, in die man die tapferen Pop-Sternchen für einen spontanen Dreh geschickt hat. Heuer waren ebendiese, auch bedingt durch die offensichtliche landschaftliche und kulturelle Vielfalt des Gastgebers Portugal, recht abwechslungsreich. Es gab auch Jahre, in denen in jedem Clip die selben Gebäude, wechselnd illuminiert entweder durch Sonnenlicht oder Eigenbeleuchtung, zur Schau gestellt wurden (man denke an die Flame Towers von Baku im Jahr 2012).

Letztendlich drehte sich aber einmal mehr alles um das fröhliche Um-die-Wette-Trällern. Und ebendieses war in diesem Jahr wieder recht unterhaltsam, bunt und zumindest von Zeit zu Zeit auch musikalisch mit dem Prädikat „Wertvoll“ zu bewerten.
Die Bandbreite reichte von etwas beleibteren Manga-Königinnen aus Israel über zahlreiche „radiotaugliche“ und gut gemachte Popsongs bis hin zu Opernsopranistinnen, Wikingern, Flötisten aus dem dinarischen Bergland oder sogar Vampiren. Sogar ungarischer Metal und georgische Folklore war zu hören.
Der österreichische, von Interpret Cesár Sampson einmal hinsichtlich seines Rhythmus als „stampfend“ bezeichnete Song war exzellent präsentiert, solide und bodenständig produziert und überzeugte die Jury mit hoher Qualität. Nicht umsonst lag überraschenderweise das Team Austria nach der ExpertInnenwertung in der Pole Position. Und wenn sich weit nach Mitternacht im heimischen Wohnzimmer ob der zahlreichen „12 Points“ so etwas wie Euphorie einstellt, die sonst nur bei erfolgreichen zweiten Slalom-Läufen eines Marcel Hirscher aufkommt, dann versteht man auch warum der alpenländische Performer als ebensolcher vom Moderator betitelt wird.
Inwiefern das israelische Siegerlied feministisch oder gar #metoo-like war, sei dahingestellt. Im Prinzip sollen wir „beautiful creatures“ uns alle lieb haben und niemals mit uns „spielen“ lassen. In den Popwellen des Kontinents, wie etwa Ö3, wird der Song wahrscheinlich eher selten zu hören sein. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Siegertitel beim Song Contest, die für genau drei Minuten an einem Samstag im Mai funktionieren, nicht als nachhaltige Massenbespaßung geplant sein müssen.
Metoo hin oder her: der zweite Platz der griechischen Protagonistin, die für Zypern antrat, zeigte uns, dass auch klassische Pop-Muster immer noch ziehen: attraktive Frauen, wallendes Haar, aufwendige, körperbetonte Dance-Moves und ein simples La-La-Yeah-Yeah-Lied. Trotzdem wird es von niemandem als „Anti-Emanzen-Song“ deklariert.
Was bleibt noch als Fazit? Das lustige, völkerverbindende Happy-Pappy-Schunkeln für eine Woche hat nach wie vor politische Dimensionen (liebe Grüße an alle Brexit-Befürworter) und sorgt ab und an für eine Demonstration der kulturellen Diversität des Kontinents – besonders wenn in Landessprache geträllert wird.
Der ORF mit Andi Knoll als Speerspitze präsentierte das ganze Spektakel kurzweilig und unterhaltsam. Klammheimlich vermisst man zwar die köstlichen Kommentare von Stermann und Grissemann in Tonspur 2 („in Baku ist es so heiß, dass sich Zigaretten von selbst entzünden“), jedoch hätte man dann sicherlich die Qual der Wahl und müsste sich das Wettsingen sogar noch ein zweites Mal zu Gemüte führen (was dem Guten dann doch etwas zu viel wäre).
Und viele, die sich über die mangelnde Sinnhaftigkeit des Events beschweren, sitzen dann trotzdem einmal jährlich vorm Patschenkino. In diesem Sinne, um es mit den Worten jedes beliebigen Song Contest-Punkte-Bekanntgebers zwischen Lissabon und Tiflis zu sagen: „Thank you for this wonderful show tonight, it was amazing!“ – Vielen Dank, an den nächsten 51 Samstagen bleibt die Mattscheibe wieder schwarz.