Das Leben im Allgemeinen und jenes im Homeoffice im Speziellen braucht ja bekanntlich Struktur. Wie man sich diese schafft, bleibt jedem selbst überlassen. Manche sortieren täglich ihre diversen Silberbestecke nach Wert und Größe oder schätzen die täglichen Zentimeter, die die Schneedecke aufgrund der Sonneneinstrahlung kontinuierlich verliert. Es gibt auch Special-Interester, die die Bezirkshauptorte Österreichs an einem Tag nach Einwohnerzahl absteigend auswendig lernen und am nächsten Tag dasselbe anhand der Gemeindegröße machen. Ich an meiner Stelle habe mir eine exakte Abfolge von täglichen Highlights zurechtgelegt. Nach dem Schrillen des Smartphone-Weckers, der auf meinem Hang zu diversen Marotten basierend nie zu runden Minuten oder Stunden läutet (05:29 Uhr) hole ich mir die mit Schreckensszenarien gespickte Tageszeitung aus der weißen Zeitschriftenrolle.
Die erste Kaffeetasse am Morgen, die exakt 15 Prozent mehr beinhaltet als die zweite um circa 9 Uhr, ergießt sich mit kranken Surrgeräuschen in das Gefäß, während ich meine Blase entleere. Neben der alltäglichen Horrorshow, bestehend aus Inzidenzen, Arbeitslosenzahlen und den illusorische Zielen und billigen Fertigteilslogans von Lokalpolitikern schließt das Blatt jeden Tag mit „News aus der Optimismusredaktion“ ab. Dies ist der tägliche Startschuss für die Ode der und an die Freude.
Denn exakt eine Stunde nach dem Erwachen beginnt das tägliche Frühstückspanoptikum im Staatsfernsehen. Als Rookie auf diesem Gebiet sind mir so einige Widersprüchlichkeiten aufgefallen. Auch wenn die allgemeine Situation noch so trist ist und Menschen, voll mit blindem Ärger, jeden noch so kleinen Teppichkäfer in der Umgebung zertrampeln: Hier sind immer alle gut drauf. Das Diktat der guten Laune. Nach kurzem Geratsche über den x-ten Geburtstag von ehemaligen Opernballgästen aus den 80ern treffen für gewöhnlich schon die ersten virologischen Expertentrupps im Studio ein. Es folgt die ernste Lektion des erhobenen Zeigefingers, die aber immer mit einem spitzbübischen und verräterischen Augenzwinkern goutiert wird. Wir dürfen zwar keinen treffen, aber es ist eh trotzdem alles leiwand.

Zwischen Live-Schaltungen in Krankenhäuser und der ZIB, dem bildgewordenen „Ernst des Lebens“, zischen dann Fashionexpertinnen in bunten Kleidern, die in der Farbgebung an die Federkrone des Montezuma erinnern, durch das Studio. Auch wenn der Winter noch mindestens gleich lang ist wie die Unterhosen unter der ORF-Fundus-Jeans, gilt hier: der nächste Frühling kommt bestimmt. In Teleshopping-Manier preist die menschgewordene HSE-24-Push-Mitteilung Hawaii-Hemden als neuen Modetrend für Männer an. Die Moderatoren überlegen währenddessen schon, wie sie die fast illusorische Brücke zum folgenden Beitrag über obdachlose Kältetelefoninteressenten anmoderieren. Gekonnt meistern sie auch diese Herausforderung. Jeden Tag aufs Neue bin ich von der Schlagfertigkeit des durch die Show leitenden Personals begeistert. Nach aktuellen Wetterbildern aus ach so fernen Tiroler Skiorten, in die man derzeit weder rein noch aus ihnen wieder raus darf, posieren dann weibliche CMOs und CEOs in Designerkleidern vor Baugerüsten am Küniglberg. In Interviews bezeichnen sie sich als „Heldinnen des Alltags“. Na bumm!
Es folgen aktuelle Buchtipps für die ach so stark vorhandene Lockdown-Fadesse und Randnotizen über die Frühstücksgewohnheiten in europäischen Königshäusern. Wie wird man eigentlich nochmal Adelsexpertin? Das wäre ein herausfordernder zweiter Bildungsweg! Zwischendurch kramt man noch im Archiv nach stimmigen Kochrezepten aus der guten alten Zeit, wo Gastronomen Gäste empfangen durften und Schweineschmalz ein integraler Bestandteil eines jeden österreichischen Menüs war. Der Geschmack liegt halt letztendlich im Fett. Die Außenwette aus den Landesstudios rundet das Programm mit Interviews von kreativen Steinbemalern aus Gramatneusiedl ab. Zu guter Letzt sagen mir noch die Sterne, dass Venus mir in dieser Woche viel Liebe und Freude schenken wird.
Nach einer Dreiviertelstunde ziehe ich dann keine Hose an und setze mich ins Homeoffice. Irgendwie denke ich mir, Frühstücksfernsehen bereitet einen nicht nur für den alltäglichen Wahnsinn vor, sondern ist selbst die streambare Achterbahnfahrt der Gefühle. Wie die katholische Kirche oder Kaiser Robert Heinrich I. können wir es uns einerseits zwar „gut gehen lassen“, andererseits sollen wir uns aber gefälligst „an die Maßnahmen halten“ und auch einmal „ein bissl brav sein“. Work hard, play hard – und das vor oder mit dem Aufgehen der Sonne.
Frühstücksfernsehen ist das kalt-warme Buffet der TV-Unterhaltung – für jeden was dabei! Im Grunde ist aber alles auf Wohlbefinden und eine hohe Bekömmlichkeit getrimmt. Und am Ende bräuchte man schon, lange bevor die Uhr zwölf schlägt, den hochprozentigen Verdauer danach.
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